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INTERVIEW

 

„Kirche muss Spaß machen – Ihr könnt so etwas!“
Ein Interview mit Friedrich W. Bargheer

anlässlich seines 70.Geburtstages
 


Sie gehören mit zur ersten Generation der in den 1970er Jahren entstandenen Gemeindepädagogik in Westdeutschland. Welches waren für Sie damals die wichtigsten Beweggründe, sich mit Gemeindepädagogik zu beschäftigen?

Angefangen hat es bei mir in der zweiten Phase der Ausbildung zum Pfarrer mit Enno Rosenbooms Programm „Gemeindeaufbau durch Konfirmandenunterricht“ (1962). Das hat er uns 1965 als Predigerseminarleiter nahe gebracht.

 

In den ersten Berufsjahren war ich beteiligt an empirischen Untersuchungen zum Kindergottesdienst und zu Herkunft, Schullaufbahn, Berufswünschen usw. der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ab Anfang der 1970er-Jahre haben, darauf aufbauend, Hans-Bernhard Kaufmann und Team des Comenius-Instituts die („Grüne“) Reihe der Arbeitshilfen zum Kindergottesdienst herausgebracht.
Zunächst stand also, noch ohne den Begriff „Gemeindepädagogik“, die Arbeit an der „Aufklärung“ eines exemplarischen Bereichs von bildungsrelevanter Gemeindepraxis im Vordergrund - mit dem Ziel einer fach- und sachgerechten Praxistheorie.

 

Nach der (zweiten) sog. Bildungssynode der EKD (Frankfurt a.M. 1971) kam das Feld der sozial- und religionspädagogischen Praxis in Kindertagesstätten (damals noch „Kindergärten“) evangelischer Träger, meist Gemeinden, hinzu.

 

Die damals gebräuchlichen Begriffe „Gemeindeaufbau“ und „Gesamtkatechumenat“ wurden als Leitbegriffe seit ca. 1974 nach und nach abgelöst durch „Gemeindepädagogik“. Faktisch ging es allemal um „mehr Pädagogik (und Humanwissenschaften) in die Gemeindepraxis“.
 

 


Auf welche Ereignisse in Ihrer gemeindepädagogischen Berufsbiografie blicken sie besonders gern zurück?

Da möchte ich besonders an drei Ereignisse erinnern:


- 1982 verabschiedet die Kammer der EKD für Bildung und Erziehung „Empfehlungen zur Gemeindepädagogik“ unter dem in der Folge oft variierten Titel „Zusammenhang von Leben, Glauben und Lernen“;


- 1989 begeht die Gemeindepädagogische Ausbildungsstätte Potsdam ihr 10-jähriges Bestehen mit einer Fachtagung - mitten im Prozess der „Wende“. Der Einladung dazu und Teilnahme daran verdanke ich die Verbundenheit mit Roland Degen.


- 1991 fand auf Initiative des Comenus-Instituts ein erstes Gemeindepädagogisches Symposium statt. Bei dieser Versammlung wurde der „Arbeitskreis Gemeindepädagogik e.V.“ gegründet. Zusammen mit Roland Degen, Elsbe Goßmann, Wolf-Eckart Failing, Karl Foitzik, Günter Hegele,

Raimund Hoenen, Günter Ruddat, Henning Schröer(+) war ich unter den Gründungs-Mitgliedern.

 


Würden Sie sagen, dass die Gemeindepädagogik die evangelische Kirche nachhaltig verändert hat?

Je nach dem, was unter Gemeindepädagogik verstanden wird und wie anspruchsvoll unsere Kriterien für „nachhaltige Veränderung“ sind: Ohne „Definitions-Macht“ zu beanspruchen, verstehe ich unter „Gemeindepädagogik“ kirchliche Bildungsarbeit im Rahmen der gesamten Gemeinde-Praxis. „Bildung“ ist dabei gedacht als alle Lebensalter übergreifende allseitige Entwicklung der Persönlichkeit. „Nachhaltig verändert“ worden ist die Evangelische Kirche seit den 1960er-, 70er- und 80er- Jahren immer wieder und durch so manches. Geschichtlicher Wandel ist ja immer. Mit der Gemeindepädagogik als kirchlichem Bildungsreformprogramm konkurrieren z.B. Ökonomisierung und Verbetriebswirtschaftlichung von Diakonie, Kirche und Gemeinde; die „Wende“ von 1989 und ihre Folgen; der Trend in der EU zur Zivilgesellschaft, um nur einiges anzudeuten. - Gemeindepädagogik hat in Kirche, Gemeinde und Theologie keinen „Herzog’schen Ruck“ gebracht, aber doch mehr Aufmerksamkeit auf die pädagogische Dimension in Theologie und Gemeindepraxis.
 

 


Was würden Sie Ihren gemeindepädagogischen Enkeln – also der heutigen Generation der Berufseinsteiger/-innen – gern mit auf den Weg geben?

Lassen Sie mich mal „spinnen“. Erprobt werden müssen immer neue, um Himmels willen nicht langweilige, abwechslungsreiche Formen von Gemeindepraxis.
 

(1) Angefangen bei den Gottesdiensten. Wenn „traditionals“ aus dem Schatz protestantischen Liedguts vorkommen müssen, wird (allein schon aus Mitgefühl mit den Konfirmanden/-innen) wenigstens eine exemplarische Choralstrophe in heutiges Deutsch übertragen und soweit erforderlich erklärt. Choräle werden, wenn von Orgel, dann auch mit kleinem Schlagzeug begleitet oder sonst rhythmusbetont gestaltet. Kinder und Jugendliche wirken in der Liturgie aktiv mit und zwar vorbereitet! (Das muss anders und qualitativ mehr sein als Ministranten-Dienst in katholischen Gemeinden). Sie sollen darin sicher werden, wie man sich in einer Kirche bewegt, wie laut und - bei Mikrofonen - ggfls. leise, jedenfalls deutlich, man sprechen muss. Sie kommen als Vorlesende, als Mitglieder von Spiel-, Chor- und Musikgruppen usw. zum Einsatz. Das wirkt in Richtung auf Identifikation mit der Kirche und der Hinterlassenschaft Jesu, die im Zentrum steht.
 

(2) Bei Gottesdiensten „in Anderer Form“ am Vorabend oder am Sonntagnachmittag werden Filme gezeigt und nachbesprochen zum Beispiel zu „Heiligen“ des Protestantismus wie Luther, Schweitzer, Bonhoeffer; zur Bibel oder zur jüngeren Geschichte wie „Der Untergang“, “Der Pianist“, „Das Wunder von Bern“, „Good bye, Lenin“, „Das Leben der anderen“ o.ä. Die Gestaltung übernimmt - als Teil der Jugendarbeit - ein Filmclub der Gemeinde.
 

(3) Flankiert werden die gemeindepädagogischen Initiativen von „anderer“ Konfirmandenarbeit in Formaten von Jugend-Gruppen- und Freizeit-Arbeit, Projekten und Praktika - da gibt es manches Erprobte.
 

(4) Ihr müsst auch öffentliche, prinzipiell ökumenische Kirche-und-Kultur-Veranstaltungen ins Programm aufnehmen, zum Beispiel Öffentliche Darbietungen zeitgenössischer Literatur und populärer Musik aus Deutschland, aus anderen europäischen oder aus Urlaubs-Ländern. - Dringend: Top gestaltete öffentliche Lesungen der biblischen Kult-Legenden der großen Feiertage (wenn möglich, vorgetragen von ausgebildeten Sprechern/-innen – sprecht Leute vom städtischen Theater an!), vielleicht zusammen mit Präsentation von Dias oder Kunstdrucken und liturgisch gestaltet mit Musikgruppen. Ich würde auch Quiz-Veranstaltungen (mit Preisen, medientechnischem und musikalischem Rahmen) zu biblischen, kirchengeschichtlichen, ethischen, ökumenischen und diakonischen Themen für Jung und Alt probieren. Kirche muss Spaß machen!

Dazu braucht es Gemeindeleitungen, die das wollen und fördern und ein Gemeinde-Management, das solche Dinge „auf die Beine stellt“. Genau dafür „haben wir“ euch Gemeindepädagogen/-innen als Teamer mit euren breit gefächerten Qualifikationen in sozialer, pädagogischer und theologischer Hinsicht. Ihr könnt so etwas!

Das Gespräch führte Matthias Spenn.

 

Siehe auch: Praxis Gemeindepädagogik 61(2004), H. 4, 60f.
 

     
             
             
             
             
     

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